Claudia Mandrysch ist seit wenigen Wochen neues Mitglied im Vorstand des AWO-Bundesverbands und hat auf ihrem Antrittsbesuch durch NRW einen Abstecher bei der Arbeiterwohlfahrt Mönchengladbach gemacht. Dass der Kreisverband seit einiger Zeit auf Führungskräfte verzichtet und Teams selbstorganisiert arbeiten lässt, spricht sich inzwischen herum und macht neugierig. Warum das in den großzügigen, offenen Räumen des L64 der AWO so gut funktioniert, davon wollte sich Claudia Mandrysch selbst ein Bild machen.
Die neue AWO-Bundesvorständin Claudia Mandrysch zückt begeistert ihr Handy und macht viele Fotos, während sie das L64 der AWO Mönchengladbach gemeinsam mit Uwe Bohlen, Thomas Schulitz und Nicole Wilms besichtigt. Im Vestibül, dem Eingangsbereich des AWO Beratungs- und Qualifizierungszentrum L64 mitten in Rheydt, beginnt die Tour für die Gästin aus Berlin. „Schicke Räume sorgen aber nicht allein für gute Arbeit. Es geht um mehr. Die AWO hat schon 2015 ihre Transformation begonnen. Wir haben sukzessive Leitungspositionen abgebaut und halten sie nur dort aufrecht, wo der Gesetzgeber dies verlangt. Unsere Teams entscheiden autonom über Themen von Kita-Renovierung bis hin zum Gehalt. Sie kennen ihre Leistung und ihr wirtschaftliches Ergebnis, weil sie jeden Monat eine Art Minibilanz für ihr Team bekommen. Sie gestalten Arbeitszeiten und Dienstpläne selbstbestimmt und arbeiten eigenverantwortlich. Ohne Druck und Macht übereinander. Die Kolleg:innen in den Einrichtungen wissen doch viel besser was ihre Kundinnen brauchen und wo Bedarfe sind. Mit dem Wissen, dass sie die Freiheit haben, darauf zu reagieren, gelingen Abläufe viel schneller und die Kund:innen sind zufriedener“, so AWO-Vorstand Uwe Bohlen.
**Geschäftsführer Thomas Schulitz ergänzt: „Leitungspositionen abzubauen, bedeutet Stress zu reduzieren. Vorgesetzte können nicht alles wissen. Seitdem wir die Hierarchien rausgenommen haben, sind die Kolleginnen erfolgreicher. Neue Kolleg:innen entscheiden sich für uns, weil sie sich nicht in ein Korsett gepresst fühlen. Nicht nur ein Arzttermin während der Dienstzeit ist möglich, auch der Friseurbesuch. Dezentralisierung von Verantwortung ist dabei entscheidend. Offene, moderne Räume, runde Tische, barrierefreie Zugänge und ein Open Space Büro mit viel Luft und Raum tragen auch dazu bei, dass dieser Prozess immer besser gelingt.“
Die AWO-Bundesvorständin Claudia Mandrysch nickt zustimmend. Sie kommt selbst aus der Organisationsentwicklung und berät Unternehmen in Sachen Agilität und bei der Implementierung neuer Arbeitskulturen. „In meiner neuen Funktion im Vorstand des AWO-Bundesverbands wünsche ich mir, dass die AWO eine Vorreiterrolle einnimmt und die Soziale Arbeit von morgen neugestaltet. Dass sich dieser Mut lohnt, wird am Beispiel hier in Mönchengladbach deutlich. Ich bin ein großer Fan davon, Hierarchien horizontal und nicht mehr vertikal zu denken. Nur so können wir dem Fachkräftemangel von Kita bis Pflege begegnen. Gib Menschen Entscheidungsspielraum und es kommt etwas Gutes dabei heraus“, betont Mandrysch.
Inzwischen ist die Tour durch das L64 der AWO Mönchengladbach in der Etage „Astronautin“, der Open Space Büroetage, angekommen. „Hier arbeiten Kolleg:innen aus verschiedensten Bereichen. Das Zentrum kann von Teams beauftragt werden, wenn sie einzelne Funktionen nicht selbst erledigen wollen. Buchhaltung, Personaldaten, Marketing, Innovation. Hier sitzen zum Beispiel die Teams aus dem Streetwork, der Pflege, oder dem AWO-Bildungswerk. Ob an einem festen Schreibtisch, oder an dem großen Tisch und auf welchen Stühlen konnten die Mitarbeitenden im Vorfeld selbst entscheiden. Wie die 300 Kolleg:innen am besten miteinander arbeiten, was ‚der Markt‘ vom Zentrum braucht, das besprechen wir einmal im Jahr mit allen, die wollen, auf einem großen AWO-Kongress. In den letzten beiden Jahren waren jeweils 150 an einem Wochenende dabei“, berichtet Nicole Wilms, die im Governance-Team an der ständigen Veränderung des Systems arbeitet.
Claudia Mandrysch probiert Stühle und Arbeitsplätze aus und dokumentiert alles mit der Handykamera. „Die AWO kommt aus der Arbeiterbewegung und ich wünsche mir, dass sie diesen Spirit wieder verbreitet. Mit ihren Werten Solidarität, Gleichheit, Gerechtigkeit, Freiheit und Toleranz, die noch nie so viel Bedeutung hatten wie in diesen Tagen. Mit Leuten, die sich was zutrauen. Ich komme aus dem Profifußball und bin nach wie vor als Trainerin tätig. Auf dem Platz braucht man Spieler:innen mit eigenem Kopf und keine überangepassten Menschen. Ihr setzt das hier konsequent um.“
Der Tipp an Claudia Mandrysch, in Mönchengladbach einmal vorbeizuschauen, kam von der Präsidiumsvorsitzenden Britta Altenkamp des AWO-Bezirksverbands in Essen. „Britta sagte mir, fahr‘ da mal hin. Die machen was ganz Tolles mit Vorzeigecharakter. Und sie hat mir nicht zu viel versprochen. Der Kreisverband in Mönchengladbach ist eine große Inspiration“, so Mandrysch abschließend.