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Erklärung der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege in Mönchengladbach Wohlfahrtsverbände fordern: Mehr politische Bildung für die Junge Union

Die kommunalen Haushalte in ganz Nordrhein-Westfalen sind ins Wanken gekommen. Der Haushaltsentwurf für Mönchengladbach sieht für das nächste Jahr ein Defizit von 78 Mio. Euro vor. Die Politiker:innen im Stadtrat sind sich einig: Nicht eine falsche Finanzpolitik der Stadt ist dafür verantwortlich, sondern die Belastungen, die von Bund und Land den Kommunen immer weiter auferlegt werden, ohne dafür eine ausreichende Gegenfinanzierung zu schaffen. In dieser Situation klagt die Junge Union Mönchengladbach auf Instagram die Wohlfahrtspflege als Verursacherin an.

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege in Mönchengladbach sind entsetzt über diese Haltung und die gezielte Verbreitung von Falschinformationen durch die Jugendorganisation der CDU.

I. Es wird behauptet, dass die Sozialverbände für die im Haushalt veranschlagten Ausgaben im Bereich Soziales von 550 Mio. Euro verantwortlich seien. Das ist falsch. Richtig ist:

  1. 143 Mio. Euro wendet die Stadt für soziale Transferleistungen auf. Dabei handelt es sich um gesetzliche Pflichtaufgaben, zu deren Zahlung sie gesetzlich von Bund oder Land verpflichtet wurde. Empfänger:innen sind unter anderem Rentner:innen, denen die Rente zum Leben nicht reicht und Unterstützung durch die Grundsicherung im Alter erhalten – oft Witwen mit kleiner Rente, die sich in ihrem Leben um ihre Familie gekümmert haben, statt selbst zu arbeiten und damit Rentenansprüche zu erlangen. Dazu gehören auch Pflegebedürftige, die ohne das Pflegewohngeld die Kosten eines Pflegeheims nicht tragen könnten, weil die Pflegeversicherung versagt hat. Polemische Politik auf dem Rücken alter Menschen, die ihr Leben lang wertvolle Leistungen erbracht haben, ist schäbig.
  2. 130 Mio. Euro wendet die Stadt für den Betrieb von Kindertagesstätten auf. Für die Kleinsten ist ein guter Start ins Leben und frühe Bildung die wichtigste Voraussetzung dafür, künftig erfolgreich ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben führen zu können. Wer diese Ausgaben als Kosten betrachtet und nicht als notwendige Investition will die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zerstören. Eltern sind angewiesen auf Betreuungsplätze, die es ihnen erst möglich machen, einer Erwerbsarbeit nachzugehen.
  3. 11 Mio. Euro wendet die Stadt für Aufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienst auf. Lange war uns allen die wichtige Funktion nicht bewusst. Doch mit der Corona-Pandemie ist der Öffentliche Gesundheitsdienst in den Fokus gerückt. Seine Bedeutung für alle Menschen darf nicht unterschätzt werden. Er ist ein wichtiger Bestandteil kommunaler Aufgaben, die letztendlich ermöglichen, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten.
  4. 88 Mio. Euro wendet die Stadt für Erziehungshilfen auf. Es handelt sich dabei um gesetzliche Pflichtleistungen, die den Schutz von Leib und Leben von Kindern und Jugendlichen sicherstellen. Es ist bedauerlich, dass in Mönchengladbach (wie auch in anderen – insbesondere Groß- – Städten eine sehr hohe Anzahl von Kindern und Jugendlichen in Situationen aufwachsen, die ihnen schaden. Es besteht ein erhebliches gesellschaftliches Defizit. Die Gründe dafür, dass Eltern keine gute Erziehung möglich machen können, sind vielfältig. Oft haben sie etwas mit wirtschaftlicher Armut und unzureichender Bildung zu tun. Die Aufgaben der Stadt dabei sind kein Luxus. Sie sichern gerade die Existenz von Kindern und Jugendlichen frei von akuter Bedrohung und sind deshalb unverzichtbar.
  5. 95 Mio. Euro wendet die Stadt für das eigene Personal auf. Dieses bearbeitet und entscheidet über Leistungen, ist selbst direkt in der sozialen Arbeit tätig oder wird für die engere Verwaltung benötigt. Es ist erforderlich, um die richtigen Schritte für die Entwicklung der Stadt Mönchengladbach zu planen und in die Umsetzung zu bringen. Es leistet selbst die erforderliche Unterstützung oder beauftragt (und kontrolliert!) Dritte.
  6. Nur ein kleiner einstelliger Millionenbetrag wird an die Wohlfahrtsverbände ausgezahlt. Weit überwiegend als Leistungsentgelt, das nur für tatsächlich erbrachte und nachgewiesene Leistungsstunden bezahlt wird – wie beim Handwerker. Die Wohlfahrtsverbände weisen gerne nach, welche Kosten dem entgegenstehen. Sie sind oft höher als der Preis. Das stellen sie in Verhandlungen immer wieder transparent dar. Die Verbände sperren sich nicht gegen weitere Prüfungen. Doch der Aufwand für Nachweise und Prüfungen, der in den vergangenen 30 Jahren sowohl bei Träger*innen als auch bei der öffentlichen Hand explodiert ist, führt zu höheren Kosten, nicht zu Einsparungen.

II. Es wird behauptet, dass sich die „Sozialindustrie die Taschen voll macht“. Das ist falsch. Richtig ist:

  1. Der Begriff „Industrie“ impliziert die Produktion von Waren und materiellen Gütern in Masse. Die Leistungen der Wohlfahrtspflege sind das genaue Gegenteil: Sie sind auf die individuellen Bedürfnisse und Anforderungen der Kund:innen ausgerichtet und erfordern ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Im Zentrum steht die menschliche Interaktion - Empathie, Verständnis und zwischenmenschliche Fähigkeiten. Soziale Dienstleistungen für hilfebedürftige Menschen werden zynisch diskreditiert.
  2. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege handeln aus ihrem ethischen Anspruch und Werteorientierung heraus. Sie sind nicht gewinnorientiert. Überschüsse sind erforderlich, um nachhaltig den Bestand der Organisationen zu sichern. Doch alle Überschüsse werden wieder für gemeinnützige Aufgaben verzehrt: neue Angebote, verbesserte Qualität, Erbringen von Trägeranteilen. Das ist gesetzlich so vorgeschrieben und wird übrigens bei allen Wohlfahrtsverbänden auch regelmäßig vom Finanzamt kontrolliert.
  3. Die Wohlfahrtspflege gibt sogar eigenes Geld für öffentliche Aufgaben aus! Viele Leistungen werden von den öffentlichen Händen nicht kostendeckend finanziert. Viele Maßnahmen und Projekte erfordern einen Eigenanteil des Trägers. Und selbst bei Kindertagesstätten, die hoffentlich unstreitig eine zwingende öffentliche Aufgabe sind, werden die Träger in Nordrhein-Westfalen gesetzlich verpflichtet, eigene finanzielle Mittel mitzubringen. Damit wird die Kommune finanziell entlastet, die ansonsten diese Beträge selbst aufzubringen hätte.
  4. Die Wohlfahrtspflege ist ein großer Arbeitgeber, vielleicht der größte in Mönchengladbach. Sie sorgt für sichere Arbeitsplätze und stellt damit das Erwerbseinkommen von einigen tausend Menschen sicher. Diese Menschen, die im Auftrag unserer Gesellschaft aufopferungsvoll anderen Menschen mit viel Herzblut zur Seite stehen und oft in existenziell bedrohlichen Lebenssituationen unterstützen haben es verdient, dass sie ordentlich behandelt und gut bezahlt werden. Statt Spott und Hohn wäre ein großes „Dankeschön“ angebracht gewesen. Politische Entscheidungen in den letzten Jahrzehnten haben es diesen Kolleginnen und Kollegen immer schwerer gemacht, eine gute Arbeit zu leisten. Denn der Fachkraftmangel etwa bei Pflegekräften und Erzieher:innen war schon lange absehbar, von der Politik sehenden Auges, aber tatenlos hingenommen.
  5. Natürlich zahlen Wohlfahrtsverbände auch Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer. Anders als die meisten Unternehmen entrichten sie sogar die Umsatzsteuer auf alles, was sie einkaufen. Sie beteiligen sich damit in großem Umfang daran, die gesellschaftlichen Aufgaben auch finanziell zu tragen. In der Tasche der Verbände bleibt nicht mehr viel.
  6. Örtliche Wohlfahrtsverbände kaufen vor Ort ein. Sie beauftragen örtliche Handwerker. Das, was die Verbände an Waren und Leistungen benötigen bleibt im Wirtschaftskreislauf der Region und stärkt damit heimische Unternehmen, den Wirtschaftsstandort Mönchengladbach und die Steuereinnahmen der Stadt. Gerade bei der Schaffung von Pflegeheimen und Kindertagesstätten profitiert die Bauwirtschaft vor Ort in ganz erheblichem Maß.
  7. Die Wohlfahrtspflege holt viel Geld nach Mönchengladbach. Über Zuschüsse des Landes und des Bundes, über Stiftungen und Spenden gelangen die Verbände an Mittel, um die soziale Struktur in Mönchengladbach zu verbessern, die ansonsten nicht in Mönchengladbach den Menschen, den Unternehmen und der Stadt selbst zugutekommen. Sie entlasten dadurch die Stadt, weil sie mit solchen Mitteln Leistungen erbringen, die ansonsten von der Stadt selbst mit eigenem Geld zu erbringen wären. Ohne die Wohlfahrtsverbände wäre Mönchengladbach auf vielen Ebenen ärmer.

III. Es wird behauptet, dass erhebliche Einsparungen im Sozialetat möglich seien. Das ist falsch. Richtig ist:

  1. Transferleistungen, die an Bedürftige ausgezahlt werden, sind gesetzliche Pflichten. Diese können von der Kommune nicht beeinflusst werden. Es besteht ein individueller Rechtsanspruch auf solche Leistungen.
  2. Das Grundgesetz bestimmt den Sozialstaat als konstitutives Element. Es obliegt nicht der persönlichen Meinung Einzelner, ob es diesen Auftrag gibt oder nicht. Der Sozialstaat baut auf der öffentlichen und der freien Wohlfahrtspflege auf. Dazu zwingt das verfassungsrechtliche Subsidiaritätsprinzip. Die anerkannten Verbände der Freien Wohlfahrtspflege erfüllen damit einen nicht disponiblen Auftrag des Grundgesetzes.
  3. In einzelnen Fragen erfordert die Demokratie den Diskurs, den Streit um den richtigen Weg, die beste Lösung. Welchen nachhaltigen Erfolg präventive Maßnahmen haben, kann unterschiedlich bewertet werden. Welche Schritte die richtigen sind, um die Entwicklung der Stadt und die Unterstützung ihrer Bürgerinnen und Bürger, wird je nach ideologischer Blickrichtung unterschiedliche bewertet. Dass der Sozialstaat für die deutsche Demokratie unverzichtbar ist, darf nicht disponibel sein. Wer das Sozialstaatsprinzip nicht vorbehaltlos anerkennt, bewegt sich außerhalb unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung.

Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege in Mönchengladbach fordern den Vorsitzenden der CDU in Mönchengladbach und den Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Rat Stadt Mönchengladbach, Jochen Klenner und Fred Hendricks, auf, sofort in ihren Reihen ihr Verhältnis zum Sozial- und Rechtsstaat und ihr Verhältnis zur Freien Wohlfahrtspflege zu klären. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege stehen nach wie vor für eine offene, inklusive und gerechte Gesellschaft. Sie stehen für gute Bildungschancen und Teilhabe. Ungeachtet von parteipolitischer Präferenz und Meinungsverschiedenheiten in Sachfragen, war die CDU als große demokratische Partei eine bedeutende Säule in der Mitte der Gesellschaft, die sich mit der Freien Wohlfahrtspflege der Spaltung unserer Gesellschaft entgegengestellt hat. Gerade in Mönchengladbach war auch die CDU über Jahrzehnte hinweg eine Garantin für sozialen Ausgleich eine Tradition, auf die Mönchengladbach zurecht stolz ist. Gerade in einer gesellschaftlichen Stimmung, in der Extremist:innen Zulauf bekommen, unseriöse Populistinnen ihre Lügen verbreiten, wirtschaftliche Armut mit der Inflation ansteigt, sind alle ernstzunehmenden und demokratischen Kräfte in unserem Land aufgerufen, die Grundprinzipien unseres Grundgesetzes von Demokratie und Freiheit gemeinsam zu verteidigen. Die Wohlfahrtsverbände in Mönchengladbach setzen weiter darauf, dass sich die CDU zu dieser gemeinsamen Verpflichtung bekennt.

Die Freie Wohlfahrtspflege in Mönchengladbach begreift sich dabei als Bündnispartnerin und bietet ihr Gespräch an.

Dr. Alf Scheidgen, Diakonisches Werk Mönchengladbach Vorsitzender der AG Wohlfahrt Uwe Bohlen, AWO Mönchengladbach Frank Polixa, Caritasverband Region Mönchengladbach e.V. Mike Boochs, Deutsches Rotes Kreuz Kreisverband Mönchengladbach e.V. Dr. Leah Floh, Jüdische Gemeinde Mönchengladbach K.D.Ö.R. Marko Jansen, Der Paritätische Mönchengladbach